Sarina - Lipödem in jungen Jahren

Hey! Mein Name ist Sarina, ich bin 27 Jahre alt und der Begriff “Lipödem” trat 2019 in mein Leben.

Jede Geschichte hat ihre Berechtigung

Ich will ehrlich sein, diesen Text zu schreiben aber vor allem hier zu teilen wäre vor 2 Jahren noch eine große Überwindung für mich gewesen. Denn ich weiß, dass es wesentlich schlimmere Schicksale gibt als meines und andere Frauen wesentlich mehr unter der Krankheit leiden. Bei meiner eigenen Auseinandersetzung mit meiner Diagnose damals habe ich mich viel mit den Geschichten anderer Betroffenen auseinandergesetzt. Dabei habe ich von Frauen gelesen, die ihre Diagnose teilweise erst nach 40 Jahren erhalten haben und bei denen das Lipödem mittlerweile mit vielen Neben- und Folgeerkrankungen einhergeht. Aber auch von alleinerziehenden Müttern, die sich eine operative Behandlung beim besten Willen nicht leisten können, auch wenn sie diese schon lange bräuchten und wollen. Neben all diesen traurigen und schlimmen Schicksalen kam mir meine Situation so oft ganz harmlos und unwichtig vor. Lange traute ich mich nicht in eine Selbsthilfegruppe zu gehen, weil ich mir mit meinen Beschwerden und Sorgen wie ein Witz vorkam. Ich hatte Angst, dort fehl am Platz zu sein, weil meine Beschwerden nicht schlimm genug seien und das andere mich dafür verurteilen würden.

Aber wann geht es mir eigentlich schlimm genug? Viel zu oft habe ich mir selbst meine Schmerzen und Ängste nicht zugestanden. Was ich dabei oft vergessen habe: für mich waren sie sehr schlimm. Wir vergleichen uns viel zu sehr mit anderen. Von klein auf wird uns deutlich gemacht, dass es immer jemanden gibt, dem es schlechter geht als uns. Dadurch wächst in uns die Überzeugung, dass wir unsere Sorgen und Ängste aber auch unsere Schmerzen nicht mehr zulassen dürfen und ihnen keinen Raum geben dürfen. Es wächst die Angst vor Verurteilung durch andere, wenn wir es eben doch tun und unsere Bedürfnisse zulassen und aussprechen. Aber das sollte nicht sein! Wir alle haben das Recht darauf, uns so zu fühlen, wie wir uns eben fühlen, und zwar unabhängig davon, ob es anderen schlechter geht. Lasst uns deshalb versuchen, uns wieder selbst wahrzunehmen und unsere Gefühle zuzulassen. Denn nur wenn wir diese zulassen können wir sie auch loslassen und dadurch erreichen, dass es uns wieder gut geht. Lasst uns auch gegenseitig wahrnehmen, uns unterstützen und uns Raum geben für unsere eigenen Geschichten und Erfahrungen. Lasst uns gegenseitig unvoreingenommen und wertfrei begegnen. Lasst uns gegenseitig akzeptieren!

Meine Geschichte teile ich also heute mit dir, um dir zu zeigen, dass wir alle dazu berechtigt sind unsere Geschichte zu teilen - egal wie schlimm oder nicht schlimm sie im Vergleich zu den Geschichten anderer aussehen mag. Außerdem hoffe ich, dass du dich damit verstanden fühlst und merkst, dass du mit deinen Sorgen und Ängsten nicht allein bist. Vielleicht hast du ähnliche Gedanken wie die, die ich eben beschrieben habe oder hast das ein oder andere ähnlich erlebt wie ich. Vielleicht unterscheiden sich unsere Erfahrung auch hier und da. Das alles ist völlig normal und ok.

Mein Weg bis zur Diagnose

Das erste Mal so richtig wahrgenommen, dass etwas nicht stimmt, habe ich im Jahr 2016. Viele Symptome, die ich heute weiß, waren aber schon lange vorher da. Insgesamt denke ich, dass sich das Lipödem bei mir sehr langsam entwickelt hat. Seit ich mich zurückerinnern kann, sind meine Beine meine größte Unsicherheit. Ich konnte mich nie so annehmen, wie ich bin. Ich habe immer gegen meinen Körper gearbeitet. 2016 fing es dann an, dass sich meine Beine abends im Bett komisch angefühlt haben. Das Problem war, dass ich dieses „komische Gefühl“ ganz schwer in Wort fassen konnte. Ich konnte es nicht erklären, konnte meinen Schmerz nicht lokalisieren. Es war einfach komisch, so ein kribbeln. Ein bisschen vielleicht, wie wenn meine Beine abgeschnürt wären, wie wenn man Blutabgenommen bekommt. Durch die Schmerzen lag ich teilweise jede Nacht drei oder vier Stunden wach im Bett und konnte nicht einschlafen. Fast täglich musste ich nach mehreren Stunden meinen Freund wieder wecken, damit er mir kalte Wickel macht und/ oder meine Beine massiert. Ich kann nicht sagen, bei wie vielen Ärzten ich über die Jahre war. Von meinem Hausarzt bis zu Neurologen. Keiner konnte mir sagen, was mit mir nicht stimmt.

Bis ich nach knapp 4 Jahren der Ärzteodysee durch Zufall einen Erfahrungsbericht über das Lipödem auf YouTube entdeckte. Ich war fassungslos, alle Symptome passten und nicht nur die die ich bis dahin kannte, sondern eben auch viele weitere die ich gar nicht als solche wahrgenommen hatte. 3 Jahre wurde hinter meinen Beinschmerzen ein neurologisches Problem vermutet. So suchte ich regelmäßig verschiedene Neurologen auf, die sich allerdings auch nie einig waren. Das Gefühl zu wissen, dass mit dem eigenen Körper etwas nicht stimmt und keine Begründung dafür zu bekommen, ist auf Dauer äußerst belastend. Mehrere Jahre musste ich mit dieser Ungewissheit leben. Als dann noch die gleichen Schmerzen in den Armen losgingen fing ich an komplett an mir zu zweifeln. Blaue Flecken? Ja das ist doch normal, dachte ich mir. Und die styroporartigen Knötchen unter der Haut sind halt bei mir so. Auch das sich meine Beine so schwer anfühlten dachte ich sei normal, wenn sie eben dicker sind. Und meine Druckempfindlichkeit? Ja ich bin eben sensibel... Bis zu diesem Zeitpunkt, an dem ich begriff, dass alles zusammenhängt. Alles ergab plötzlich einen Sinn. Ich litt jahrelang unter dem Gefühl an meine Gewichtszunahme selbst schuld zu sein. Ständig bekam ich zu hören, einfach mal mehr Sport machen und weniger zu essen. Ich habe mir jahrelang Vorwürfe gemacht und an mir selbst gezweifelt. Ich war so erleichtert und gleichzeitig unsicher, weil ich noch nichts über diese Krankheit wusste. Die darauffolgenden Wochen kümmerte ich mich um einen Arzttermin für die Diagnoseabklärung -was sich als echte Herausforderung herausstellte, denn leider gibt es nicht viele Ärzte, die darauf spezialisiert sind. Und in den Monaten, als ich auf meinen Termin wartete, las ich viele Erfahrungsberichte und eignete mir Wissen an.

Ich weiß noch, dass es mir gar nicht gut ging in dieser Zeit. Ich war hin und her gerissen, ob ich nun erleichtert sein soll, weil es keine lebensbedrohliche Krankheit ist, ich endlich weiß, was mit mir nicht stimmt und ich durch eine Operation scheinbar viel verbessern kann. Gleichzeitig war ich mir immer noch nicht sicher, ob ich tatsächlich an einem Lipödem leide. Was wenn doch nicht? So schlimm sehen meine Beine auch nicht aus… Bilde ich mir alles nur ein? Diese Gedanken wurden nicht unbedingt besser, je mehr Ärzte ich aufsuchte. Ein Hautarzt -zu dem ich musste, um mir die Überweisung für die Klinik zu besorgen, in der ich einen Termin für die Diagnosestellung hatte - ist mir dabei besonders im Gedächtnis geblieben. „Also das kann ich mir bei Ihnen nicht vorstellen. Wissen Sie eigentlich, wie das aussieht?, fragte er mich während er seine Arme weit auseinander riss um mir aufzuzeigen, dass die Beine betroffener Frauen um einiges dicker seien als meine. Heute wäre ich in so einer Situation viel sicherer aber damals haben mich solche Erfahrungen stark eingeschüchtert.

Trotzdem blieb ich dran. Ich bin mir nicht mehr sicher, aber ich glaube drei Monate nachdem ich dieses Video auf YouTube gesehen habe, bekam ich meine Diagnose: Lipödem im Stadium 1. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits über drei Jahre Schmerzen an den Beinen und seit kurzem auch an den Armen. Aber selbst nach der Diagnose machte ich mir noch Sorgen darüber, ob das wirklich stimmt. Nicht, weil ich dem Arzt nicht traute, sondern weil ich es mir „nicht zugestand“ an einem Lipödem zu leiden, wenn es doch noch nicht „so schlimm“ ist. Ich versuchte also mir eine Zweitmeinung einzuholen, doch leider fand ich keinen Arzt mehr, der darauf spezialisiert ist. Ich weiß nicht, ob ich mich besonders doof bei der Suche angestellt habe, aber es fiel mir wirklich schwer, einen Überblick zu bekommen. Dazu kam, dass mittlerweile Ende Oktober war und ich bereits ab Anfang Dezember für 1 Jahr auf Reisen sein würde. Ich versuchte also die Diagnose anzunehmen und damit umzugehen. Das Einzige, was ich zu dieser Zeit machen konnte, war mir eine Kompression zu besorgen - in der kurzen Zeit sagte man mir könne ich nur noch eine Rundstrickversorgung bekommen -, um unterwegs die Hoffnung auf Schmerzlinderung zu haben.


Die Entscheidung für die Liposuktionen

Während meiner Zeit auf Reisen quälte ich mich fast täglich bei über 30 Grad in die Kompressionsstrumpfhosen und ertrug die Hitze - ich war in Südamerika. Meine Reise musste ich schließlich aufgrund von Corona vorzeitig abbrechen -nach nur drei statt 12 Monaten. Das einzig Positive daran war, dass ich die Operationen früher angehen konnte. Die Entscheidung für die Liposuktionen festigte sich während meiner Zeit auf Reisen, als mir meine körperlichen Einschränkungen Tag für Tag mehr bewusst und zu einer immer größeren Belastung für mich wurden. Ich erinnere mich noch ganz genau an eine Wanderung in Ecuador, bei der ich weinend zusammenbrach, weil sich meine Beine einfach so schwer angefühlt haben, dass ich nicht mehr weiterlaufen konnte. So wollte und konnte ich nicht weiter machen. Meine Operationen hatte ich 2020-2021 und ich bin bis heute sehr zufrieden mit der Entscheidung, meinem Arzt und dem Endergebnis. Die Kosten für meine Operation wurden nicht von der Krankenkasse übernommen. Und trotz der finanziellen Unterstützung meiner Familie hatte ich wochenlang starke Existenzängste.

Psychische Probleme blieben

Das Gute ist, meine körperlichen Symptome sind seitdem fast komplett weg, doch die psychischen Probleme blieben… Rückblickend habe ich den Fehler gemacht, mich vorher nicht ausreichend mit den Gefühlen zu beschäftigen, die die Diagnose bei mir ausgelöst hat. Ich ging in die Operationen mit dem Glauben daran, dass dadurch nicht nur meine körperlichen Symptome, sondern auch meine mentalen Probleme verschwunden seien. Leider musste ich mir eingestehen, dass meine jahrelangen Denk- und Verhaltensmuster - die sich durch viele Jahre (nicht) diagnostiziertes Lipödem verankert hatten - nicht von heute auf morgen mit den OP’s verschwinden. Es war ein langer Weg mich meinen inneren Themen zu stellen und nach und nach zu lernen, meinen Körper und mich selbst anzunehmen. Viel zu oft wird übersehen, wie viel die Diagnose und all die Jahre davor in uns auslösen und kaputt machen. Ich hatte selbst die Illusion, mit den Liposuktionen würde auch mein inneres Leiden verschwinden, aber das ist leider nicht passiert. Es war viel eigene Motivation und aktives Aufarbeiten notwendig. Mein Vorteil war, dass ich als studierte Kunsttherapeutin viele Methoden und Strategien kannte, die mir dabei geholfen haben. Ich wünsche mir von Herzen, dass auch du deinen Weg zu einem glücklichen Leben mit Lipödem findest. Im Dezember 2021 habe ich mich deswegen dazu entschieden, dem Thema Lipödem nicht nur in meinem privaten Leben Raum zu geben, sondern auch meinen beruflichen Fokus darauf zu richten. Das war der Start für meine Selbstständigkeit „Lipoedem im Kopf“.

Meine Mission

Den Fokus meiner Arbeit bilden die mentalen Herausforderungen, mit welchen sich viele Betroffene durch die Diagnose konfrontiert sehen. Dabei ist mir sehr wichtig über meine Social-Media-Kanäle sowohl darüber aufzuklären, mit wie vielen Belastungen die Diagnose einher gehen kann als auch aufzuzeigen, welche große Bedeutung es hat sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Außerdem möchte ich anderen Betroffenen die Möglichkeit geben, sie mit meiner Expertise als studierte Kunsttherapeutin auf ihrem Weg zu unterstützen. Dafür biete ich seit einigen Monaten u.a. regelmäßig kunsttherapeutische Workshops an, in denen sie sich aktiv mit konkreten Themen rund um die mentalen Herausforderungen mit der Diagnose beschäftigen und mit anderen Betroffenen darüber austauschen können.

Gleichzeitig nimmt auch die Kunst einen großen Stellenwert in meiner Arbeit ein. Als Kunsttherapeutin liebe ich es, mich selbst und Themen, die mich beschäftigen mit Hilfe von den verschiedensten künstlerischen Materialien auszudrücken. Aus diesem Grund habe ich meine eigene Diagnose schon vor der Gründung von "Lipoedem im Kopf" über meine Kunst verarbeitet und mittlerweile die Erfahrung machen dürfen, dass meine Bilder auch vielen anderen Betroffenen helfen, ihrer Diagnose physisch aber vor allem auch mental Raum zu geben. In meinem Onlineshop findet man bereits viele verschiedene Motive rund um die Diagnose Lipödem, welche den Betroffenen die Möglichkeit geben, sich auf eine positive Weise mit ihrer Diagnose zu beschäftigen und zu lernen diese in ihrem Alltag anzunehmen. Außerdem habe ich letztes Jahr durch die Hilfe von 13 starken Lipödem Mutmacherinnen - der Kalender basiert auf Fotoeinsendungen aus der Community - das erste Mal einen Community Kalender gestaltet, welcher vielen Betroffenen über das Jahr 2024 Mut und Motivation schenkt.

Denk immer dran: deine Geschichte und dein inneres Leiden haben eine Berechtigung und du verdienst es, ihnen Aufmerksamkeit zu schenken!

Alles Liebe

Deine Sarina 🌻

Hier findest du mich 💛

Webseite:

https://www.lipoedem-im-kopf.de/

Bestärkende Kunst für Lipödembetroffene:

https://www.lipoedem-im-kopf.de/shop/

Instagram:

@lipoedem_im_kopf

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