Andrea

Mein Name ist Andrea, ich bin fast 34 Jahre jung und bekam meine Diagnose Lip-Lymphödem der unteren und oberen Extremitäten Stadium 2 im Jahr 2010.

Ich war damals knapp 22 Jahre alt und wusste nichts über dieses Krankheitsbild. Ich habe nicht mal gewusst, dass es eine solche Krankheit überhaupt gibt. Denn solche Sätze wie „Fett sein ist keine Krankheit, sondern eine Sucht zu (Fr-) Essen“ oder wenn man erkältet beim Arzt war „Sie müssen abnehmen, dann wird’s besser“ habe ich leider viel zu oft gehört. Klar Gewichtsreduktion hilft auch bei Krebs- Ironie ende. Über solche Aussage habe ich mich immer sehr geärgert und es vermieden wegen einem „Schnupfen“ zum Arzt zu gehen,
Dabei habe ich über 10 Jahre aktiv Handball gespielt und hatte einen Beruf bei dem ich bis zu 14Std am Tag aktiv auf den Beinen war, bis zur Diagnose. Und mit einem Schlag war alles vorbei.
Es hat mir den Boden unter den Füßen weg gezogen und ich bin in ein schweres depressives Loch gefallen. Damals befand ich mich auch in einer (im Nachhinein) sehr toxischen Beziehung. Mein Selbstbewusstsein war auf Grund dessen eh schon sehr angeschlagen. Doch als dann auch noch die Diagnose dazu kam war es ganz vorbei.

Meine Diagnose ist einem absolutem Zufall zu verdanken. Ich habe im TV einen Bericht über eine junge Frau gesehen, die dieselben Beschwerden und dieselbe Figur hatte wie ich.
Nach dem Bericht habe ich sofort einen Termin bei meinem damaligen Hausarzt gemacht, der mit meinen Fragen völlig überfordert war.
„Lip-Lymphödem, was ist das? Könnte ich das auch haben? Bin ich vielleicht doch nicht nur schwer Adipös? ...“ alles was ich bekam waren hilflose Blicke und ein Achselzucken meines Arztes. Letztlich kann ich nur Dankbar sein, das mein Hausarzt mich dann doch zum Lymphologen überwiesen hat.

Beim Lymphologen dann der nächste Schlag ins Gesicht. Da ich damals 130 Kilo hatte, bekam ich die Aussage: „Ja du hast ein Lip-Lymphödem und jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder du machst so weiter und landest in spätestens 5 Jahren im Rollstuhl oder aber, du bekommst den Po hoch und fängst an mit Kompression, Gewichtsreduzierung und Bewegung in Kompression!“
Mein erster Gedanke war „WOW, ich kann mich umbringen.“, mein zweiter war „WOW, ok! Danke für die offenen und sehr direkten Worte, gehen wir es an!“
Meine Gefühle fuhren Achterbahn. Hilflosigkeit, Ohnmacht aber auch Erleichterung. Aber das alles zeitgleich. Dann die Bilder im Internet- HÖLLE. Aber es öffnete mir die Augen.

Ich sollte dann einen Termin im Sanitätshaus machen um mir eine Kompressionsstrumpfhose anfertigen zu lassen. Damals wusste ich nicht was da auf mich zukommt. Aber gut, ich geh das jetzt an.
Ich bin also in ein Sanitätshaus in meiner Nähe gegangen und habe es über mich geschehen lassen.
Meine Sanifee damals war sehr nett, aber auch hier wenig Aufklärung, was diese Bestrumpfung eigentlich mit mir macht. Als der Anprobetermin ins Haus stand, war ich sehr nervös. Als ich dann in der Strumpfhose drin war habe ich im Auto erstmal dicke Krokodilstränen geweint. ES WAR FURCHTBAR! Das Material war störrisch und fühlte sich für mich wie Katzenstoff an. Ich habe mir trotz Handschuhe permanent die Hände aufgerissen und war sehr frustriert. Habe aber die ersten Monate tapfer durch gehalten.
Doch dann kam ich an einem Punkt, an dem ich das nicht mehr wollte und habe angefangen zu schludern. Ich habe meine Strumpfhose einfach nicht mehr getragen. Zum einem mangels Aufklärung das es noch andere Materialien gibt und zum anderen weil ich damals mental auch nicht in der Lage war auch einfach mal selbst auf die Idee zu kommen, nach zu fragen, was es noch anderes geben könnte.

So vergingen Jahre und die Beschwerden wurden schlimmer, trotz dessen dass ich es geschafft hatte fast 40 Kilo abzunehmen. Es haben sich an den Fesseln Fibrosen gebildet die bei jedem Schritt sehr schmerzhaft waren.
Ich hatte mich 2012 dazu entschieden meine Wohnung mit einem felligen Begleiter zu teilen. Die bisher beste Entscheidung meines Lebens, denn so habe ich die Gewichtsreduktion bis vor ein paar Jahren gehalten. Seit 2013 sind wieder 25 Kilo hin zugekommen. Hormonell und Stress bedingt.
Das Jahr 2013 war kein ganz so einfaches Jahr. Erst wurde eine Herzerkrankung bei meinem Hund diagnostiziert und dann ist in dem Jahr auch noch ein sehr nahes Familienmitglied plötzlich verstorben. Das war alles für meine grad heilende Seele zu viel. Aber auch hier musste ich mich wieder aufraffen und habe dann 2014 meinen Mann kennengelernt. Ein so toller Mensch von dem ich das erste Mal gehört habe „Wir schaffen das zusammen“. Und so ist es bis heute, wir schaffen alles zusammen.

Bis 2018 habe ich es auch raus gezögert eine Rehabilitation zu machen. Mein Gedanke war immer: „Das machen nur alte Leute, sowas brauch ich nicht!“, „Ich habe keine Zeit dafür!“, „Was mache ich mit meinem Hund?“- Nein Reha war bis dahin für mich keine Option.
Doch ich hatte den Hausarzt in der Zwischenzeit gewechselt und dieser drängte auf eine Reha. Irgendwann habe ich mich dem ergeben. Und ja, es war richtig.
Denn in der Reha habe ich viel über diese chronische Erkrankung gelernt und auch gelernt meinen Körper und das dazu gehörige Körpergefühl neu zu entdecken. Die ganze Reha erleichtert haben auch die tollen Persönlichkeiten die ich während dessen kennen lernen durfte. Zum Abschluss meiner Reha wurde mir dann, nach Jahren meiner Schlampigkeit, erneut meine Kompressionsstrümpfe angemessen. Anderes Material, weil anderer Hersteller und die Aufklärung bis dahin deutlich besser war. Sie fühlte sich von Anfang an wie eine zweite Haut an.
Was soll ich sagen, seit dieser Reha ist die Kompression für mich nicht mehr weg zu denken. Ich habe weniger Beschwerden, mehr Halt und auch endlich den Mut diese Kompression nicht mehr unter langen Kleidungsstücken zu verstecken.
Mein Kleiderschrank beinhaltet inzwischen Röcke, Kleider und auch kurze Hosen.
Inzwischen ist meine Strumpfhose für mich nicht mehr nur ein wichtiges medizinisches Kleidungsstück sondern auch modisches Accessoire. Ich freue mich auf neue Farben und Muster. Ich traue mich jetzt auch meine gut verpacken Stampfer zu zeigen. Und ohne Kompression aus dem Haus zu gehen kommt für mich nicht mehr in Frage.

Traut euch Mädels! Sei deine eigene Flachstrickheldin J

© Lymphnetzwerk - Alle Rechte vorbehalten.

Webdesign mit & von raffy.eu